Forschungsstelle Keramik

Keramik - Ein universeller Werkstoff mit hohem Aussagepotential

Ton findet seit Jahrtausenden als universeller Werkstoff Verwendung. Unter den materiellen Hinterlassenschaften des Menschen repräsentieren Keramikartefakte aufgrund ihrer physischen Eigenschaften und der damit verbundenen in der Regel guten Erhaltung die mit Abstand umfangreichste Fundkategorie in der Archäologie. Tongefäße stellen für Archäologen chronologisch wichtige - oft die wichtigsten - Zeitmarker dar, ihr Vorkommen auf lokaler, regionaler und überregionaler Ebene bildet die Grundlage für die Rekonstruktion von Verbreitungsbildern und Austauschstrukturen. Die charakteristischen Formen von Tongefäßen sind nicht nur funktional bedingt, sondern auch kulturell geprägt. Keramik bildet hierdurch die Grundlage der Interpretation archäologischer Befunde und der darauf aufbauenden kulturhistorischen Überlegungen. Seit rund 150 Jahren wird Keramik systematisch erforscht. Lange standen die Typologie und damit verbunden die Chronologie der verschiedenen Waren im Fokus. In den letzten Jahrzehnten wurde immer deutlicher, daß Keramik darüber hinaus eine bedeutende Quelle für die Diskussion ökonomischer und sozialer Fragen darstellt. Zudem eröffneten die verstärkte Zusammenarbeit mit naturwissenschaftlichen Disziplinen und die Entwicklung der geochemischen Analytik für Herkunftsbestimmungen neue Perspektiven für die Erforschung der Keramik. Als Antwort darauf bildeten sich neue Forschungsrichtungen wie die Wirtschaftsarchäologie hieraus. Heute stehen Themen im Interesse der Forschung wie z. B. die Keramiktechnologie, Organisation des Töpferhandwerks und Nutzung der lokalen Ressourcen, strukturelle Rahmenbedingungen und Produktionsbedingungen, Charakter und Intensität von Produktion und Distribution von Keramik, Logistik des Vertriebs, Konsumption von Keramik im Alltag sowie hieraus abgeleitet politische, ökonomische und soziale Aspekte von Individuen und Gruppen.

Für alle archäologischen Disziplinen stellt das „Keramik-Archiv“ eine entscheidende Quelle dar. Sein Informationsgehalt ist so vielfältig, dass heute für diejenigen, die sich mit Keramik beschäftigen, nicht nur spezielle archäologische, sondern auch unterschiedliche naturwissenschaftliche und mathematische Kenntnisse zwingend erforderlich sind.

Keramikforschung als Schnittmenge zwischen den verschiedenen archäologischen Wissenschaften

Mit der für den deutschsprachigen Raum historisch bedingten Aufgliederung der Archäologischen Wissenschaften in Vorderasiatische Archäologie, Klassische Archäologie, Archäologie der römischen Provinzen, Vor- und frühgeschichtliche Archäologie, Mittelalterarchäologie usw. haben sich in der Keramikforschung ganz unterschiedliche Terminologien und Klassifikationsweisen für Keramikwaren, Gefäßformen und -typen entwickelt. Keramik wird heute in den verschiedenen archäologischen Disziplinen auf unterschiedliche Art und Weise erforscht, auch der erreichte Stand ist uneinheitlich. Als modernes Bindeglied dienen heute die naturwissenschaftlichen Untersuchungen (Analytik, Dünnschliffe, Matrixbeschreibungen), da ihre Aussagemöglichkeiten für alle Epochen im gleichen Maße relevant sind. Heute werden dieselben Fragestellungen von den verschiedenen Disziplinen divergent angegangen, an systematischen und disziplinenübergreifenden Arbeiten mangelt es fast vollständig. In Deutschland fehlt die Tradition und der geeignete Rahmen, um in der Keramikforschung die gemeinsame Schnittmenge zwischen den einzelnen archäologischen Fächern sichtbar zu machen und fördernd auszugestaltend. Viele grundlegende Aspekte des Werkstoffes Keramik müssen aus einem gemeinsamen Blickwinkel heraus betrachtet werden. In Deutschland wird die Keramikanalytik bisher von verschiedenen Spezialisten - personengebunden - als Insellösung betrieben, z. T. noch mit unterschiedlichen Methoden und analytischen Verfahren. 

Das Frankfurter Potential

Im Rahmen des Frankfurter Graduiertenkollegs „Archäologische Analytik“ (1997-2006) wurde im Verbund von Archäologie und Naturwissenschaften an der Goethe-Universität Frankfurt a. M. der Grundstein für eine moderne Keramikanalytik gelegt. Mit zehn Dissertationen, in denen es um vorderasiatische, vor- und frühgeschichtliche, griechische, römische und mittelalterliche Keramik ging sowie einer Reihe von durch die DFG geförderten Folgeprojekten konnte die Keramikforschung in Frankfurt etabliert werden. Neben den archäologischen Methoden der Keramikuntersuchung wurden konsequent mineralogisch-petrographische Klassifikationsverfahren und die geochemische Analytik angewendet. In diesem Zusammenhang konnte auch die sich für die Keramikanalytik etablierende Massenspektrometrie mit induktiv gekoppeltem Plasma (ICP-MS) erprobt und erfolgreich eingesetzt werden. Die in Frankfurt herangewachsene archäometrische Kompetenz wird durch den 2001 eingeführten Teilstudiengang „Archäometrie“ weiterentwickelt und gefestigt.

Die Hochschullehrer des Instituts für Archäologische Wissenschaften sind der Ansicht, daß ihr Institut ideale Voraussetzungen dafür bietet, in der Keramikforschung eine Vorreiterrolle zu übernehmen. Die drei Abteilungen des IAW sind im Rahmen einer Vielzahl an stets in interdisziplinärem Verbund betriebenen Forschungsvorhaben in Syrien, in der Türkei, im Ural, an verschiedenen Orten in Deutschland sowie in Afrika tätig und bringen unterschiedlichste Keramikwaren und Fragestellungen mit ein.

Das apparative Potential für die Keramikanalytik umfasst:

  • Totalreflexions-Röntgenfluoreszenz-Spektrometer S2 Picofox der Firma Bruker
  • Portables energiedispersives Röntgenfluoreszenzspektrometer Xl3t-900 He der Firma Thermo Scientific Niton
  • Schwingmühle Retsch MM400, Sandstrahlgerät, Gesteinspresse
  • Schleif-/Poliermaschiene Struers
  • Brennofen Rhode Toplader
  • Binokular Zeiss Stemi 2000-C
  • Streifenlichtscanner Mephisto EX

Konzept und Aufgaben der Forschungsstelle Keramik des IAW

Konzept

Keramik wird umfassend und interdisziplinär als Werkstoff, als archäologischer Fund, als Träger kultureller Informationen und als Gegenstand moderner wirtschaftsarchäologischer Forschung gleichermaßen ins Blickfeld genommen.

  • Keramik als Werkstoff: der Ton, dessen Aufbereitung, Magerung, die Herstellung der Gefäße, die Öfen, Brenntechniken, die töpfereispezifischen Referenzdaten usw. bieten bei einem konsequent umgesetzten interdisziplinären Forschungsansatz und der Verwendung der neuesten geochemischen Analysentechniken ein sehr hohes Potential für neue Erkenntnisse. Dabei gilt es zugleich, die schon vorhandenen Analysendaten unterschiedlichster Qualität systematisch zusammenzuführen, sie unter dem Gesichtspunkt der Kompatibilität zu bewerten und eine entsprechende Qualitätskontrolle zu etablieren.
  • Keramik im archäologischen Befund: Eine methodisch reflektierte Klärung der Fundsituation – wie kommt die Keramikscherbe an den Fundort und in den spezifischen archäologischen Befund? – bildet die Voraussetzung für jede adäquate und weiterführende Auswertung von Keramik.
  • Keramik als Träger kultureller Informationen in gesellschaftlichen Kontexten: Diesbezüglich sind eine breite Palette von Fragestellungen über die Fächergrenzen hinweg zu diskutieren und zu systematisieren. Dabei geht es um Material, Form, Dekoration, Bild, Funktion usw. Hier bestehen Anknüpfungspunkte zum Frankfurter Graduiertenkolleg „Wert und Äquivalent“.
  • Keramik als Gegenstand wirtschaftsarchäologischer Forschung: Produktion, Produktionsvolumina, Distribution und Konsumtion von Keramik stellen in der sich etablierenden modernen wirtschaftsarchäologischen Forschung zentrale Forschungsfelder dar.

Aufgaben

Lehre:
Durch geeignete Lehrveranstaltungen zum Themenbereich sollen Studierende, Magister-, Bachelor-/Master-Abschlusskandidaten sowie Doktoranden in die Methoden archäologischer und naturwissenschaftlicher Keramikforschung eingeführt werden. Ziel ist es, eine umfassende Sichtweise auf Keramik als Werkstoff und Artefaktkategorie in ihrem archäologischen Kontext zu vermitteln. Die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses soll zudem durch die adäquate Betreuung der am Institut vergebenen Abschlussarbeiten aus dem Themenbereich Keramik betrieben werden.

Forschung:
Im Rahmen der Forschungsstelle wird versucht, am IAW im Verbund mehrerer archäologischer Disziplinen eigene Forschungsprojekte zu initiieren, durchzuführen bzw. zu koordinieren. Besonderes Augenmerk gilt hierbei einem interdisziplinären und Epochen übergreifenden Ansatz zur Erforschung von Keramik. Im Rahmen der Forschungsvorhaben wird die Entwicklung der Keramikanalytik verfolgt und durch eigene Beiträge mit vorangebracht werden.

Koordinierende wissenschaftliche Aufgaben
Der Forschungsstelle kommt eine besondere Bedeutung in der Förderung des interdisziplinären Austauschs im Hinblick auf die Anwendung von archäologischen und naturwissenschaftlichen Untersuchungsmethoden zu. Sie fungiert auf nationaler wie internationaler Ebene als Anlaufstelle zum Auf- und Ausbau eines breit angelegten archäologischen und archäometrischen Netzwerkes. Ziel ist es, für die jeweiligen Fragestellungen in den verschiedenen Projekten zusammen mit den Fachkollegen die besten methodischen Lösungsansätze zu finden. Die Forschungsstelle macht sich auch zum Motor der Bestrebungen, gemeinsame Qualitätsstandards für die Keramikanalytik zu erarbeiten und konsequent zur Anwendung zu bringen.

Übernahme von Aufträgen von Dritten:
Im Rahmen der an der Forschungsstelle vorhandenen apparativen Ausstattung werden – soweit wie möglich – Auftragsarbeiten für Dritte durchgeführt. Neben der Beratung bei der Vorbereitung und Durchführung von Projekten, die Keramik zum Gegenstand haben, werden Keramikanalyen durchgeführt. Durch die intensive Forschung der vergangenen vier Jahre ist das IAW in Deutschland führend in der geochemischen Untersuchung von Keramik mittels portabler energiedispersiver Röntgenfluoreszenzanalyse geworden.

Öffentlichkeitsarbeit und Durchführung von Tagungen:
Durch geeignete Initiativen werden die Mitglieder des IAW und eine interessierte universitäre und außeruniversitäre Öffentlichkeit über Tätigkeit und Ergebnisse der Forschungsstelle informiert. Neben der Teilnahme an Kongressen und bestehenden Arbeitskreisen werden regelmäßig Fachtagungen veranstaltet, um einen geeigneten Rahmen zu schaffen, in dem die Keramikforschung zusammengeführt und im gemeinsamen Diskurs weiterentwickelt wird.