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Uwe Michas
Slawen und Germanen im Berliner Raum

Im 4. und 5. Jahrhundert gerieten auch die auf dem heutigen Berliner Gebiet lebenden Germanen in den Sog der großen Völkerwanderung. Die geringe Zahl der archäologischen Fundstellen für diese Zeit zeigt an, daß nur wenige Germanen zurückblieben.
     Im Verlauf des 6. und 7. Jahrhunderts wanderten slawische Siedlergruppen in das verlassene Land ein. Die archäologische Forschung konnte zwei Einwanderungsrouten ermitteln. Aus Richtung Böhmen, entlang der Elbe, wanderte ein Teil der Siedler ins heutige Brandenburg. Aus dem Weichselraum über die Oder und entlang der Spree kam ein weiterer Teil der Einwanderer. Bis heute ist die Frage nicht geklärt, ob die Slawen hier auf eine germanische Restbevölkerung getroffen sind. Nachweislich ließen sie sich anfangs auf ehemaligen germanischen Siedlungsplätzen nieder.
     Ausgrabungen auf spätgermanisch- frühslawischen Fundplätzen erweckten zunächst den Anschein eines direkten Kontaktes. So zum Beispiel in Berlin- Marzahn, wo ein slawischer Kastenbrunnen direkt auf einen germanischen Brunnen gebaut wurde. Allerdings ergaben die naturwissenschaftlichen


Fürst Jaxa auf einer Münze

 

Datierungen zwischen beiden Anlagen eine erhebliche Zeitspanne. Ähnliche Ergebnisse brachten andere Ausgrabungen. Für einen Kontakt sprechen zahlreiche Fluß- und Landschaftsnamen wie Havel, Dahme und Teltow, die auf germanischen Ursprung zurückgehen und von den Slawen übernommen wurden.
     Im Berliner Raum siedelten sich zwei slawische Stämme an. Beiderseits der Spree, auf dem Barnim und dem Ostteltow, lebten die Sprewanen, die 948 und 965 in Urkunden Kaiser Ottos I. (936–973) genannt werden. Das Havelland war das Zentrum des zweiten Stammes, der Heveller. Auch ihr Name findet sich in zeitgenössischen Chroniken, so bei Tiethmar von Merseburg, der

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Das Angerdorf Pankow um 1230, Rekonstruktion. Aus heutiger Sicht: die Kirche in der Breiten Straße, unten rechts die Berliner, oben links die Ossietzkystraße
zum Beispiel erwähnt, daß sich die Heveller selbst Stodorane nannten. Ihre Siedlungsgebiete reichten bis an die heutige Berliner Havel, wobei die Burg Spandau ein wichtiger strategischer Außenposten war. Die dichten Wälder und die Sümpfe der damaligen Zeit bildeten die Grenze zwischen den Stämmen.
     Archäologische Ausgrabungen auf slawi-
schen Siedlungen, so in Marzahn und Kaulsdorf, brachten einen guten Einblick in die damalige Lebensweise. Die Siedler errichteten meist ebenerdige Häuser in Blockbauweise. Diese Siedlungen waren oft ohne System angelegt, so daß man sie als Haufendörfer bezeichnet. Ackerbau und Viehzucht bildeten die Lebensgrundlage der Dorfge-
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7. Jahrhundert erbaut wurde und im 8. Jahrhundert abbrannte. Auf den Trümmern wurde eine neue Burg errichtet, die bis in das 10. Jahrhundert existierte und dann ebenfalls abbrannte. Beide Male war eine starke Wehrmauer in Holzkastenkonstruktion errichtet worden, gefüllt mit Erde und Steinen. Nur in der zweiten Phase verstärkten die Slawen die Außenwand mit einer Berme (Absatz an einer Böschung), außerdem legten sie eine Uferbefestigung an.
     Ähnliche Anlagen gab es vermutlich in Blankenfelde und Treptow. Die Kunst des Burgenbaus hatten die slawischen Einwanderer nicht erst vor Ort gelernt, sondern schon aus ihrer alten Heimat mitgebracht.
     Zu jeder dieser Anlagen gehörte jeweils eine Vorburgsiedlung. Mehrere dieser Burgbezirke oder Siedlungskammern bildeten das Gebiet eines Stammes, deren Mittelpunkt eine große Burg war, angelegt an einem besonders wichtigen strategischen Platz. Im Falle der Sprewanen war dieses Zentrum Köpenick, das am Zusammenfluß von Dahme und Spree liegt. Die Hauptburg der Heveller war Brandenburg, aber Spandaus Lage, im Mündungsgebiet der Spree in die Havel, machte diese Anlage ebenfalls zu einer bedeutsamen Burg des Stammes.
     Die Burgwälle Spandau und Köpenick wurden zum Teil durch langjährige Ausgrabungen erforscht. Die strategische Lage beider Burgen machte sie immer wieder zu Zielen von Angriffen und Zerstörungen.
Slawischer Krieger auf einem Siegel des 13. Jahrhunderts
meinschaft. Dazu betrieben sie Kleinhandwerk wie Weben, Spinnen, Töpferei sowie Eisen- und Knochenverarbeitung. Mehrere solcher Siedlungen bildeten zusammen mit einer kleinen Burg als gesellschaftlichen Mittelpunkt eine sogenannte Siedlungskammer. Anscheinend waren die slawischen Bauern schon kurz nach der Einwanderungsphase und Konsolidierung der Stämme in die Abhängigkeit ihres Adels geraten.
     Eine dieser Burgen befand sich an der Pankeniederung in Blankenburg. 1971/72 fanden auf diesem Burgwall Ausgrabungen statt. Sie ergaben, daß diese Anlage im
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Doch hatte ihre Lage nicht nur militärische, sondern auch handelspolitische Bedeutung. Der intensive Handel ließ beide Orte in spätslawischer Zeit so anwachsen, daß sie frühstädtischen Charakter annahmen. Ein großer Teil der slawischen Burgen, vorrangig die kleineren Anlagen, wurde im 10. Jahrhundert aufgegeben oder zerstört. Es ist anzunehmen, daß diese Zerstörungen mit der ersten Phase der deutschen Ostexpansion (928–983) zusammenhängen. König Heinrich I. (919–936) eroberte 929 Brandenburg und konnte die Stämme bis zur Oder in ein tributpflichtiges Abhängigkeitsverhältnis bringen. Sein Sohn Otto der Große (936–973) versuchte, diese Herrschaft durch Errichtung von Bistümern und Markgrafschaften zu sichern. Heveller und Sprewanen gehörten der Markgrafschaft Geros an. Da Spandau und Potsdam die östlichsten deutschen Stützpunkte waren, ist es durchaus denkbar, daß Gero einen Großteil der Burgen zerstören ließ, um bei seinen zahlreichen Feldzügen, die ihn über die Oder führten, einen freien Rücken zu haben. Die Ausgrabungen in Spandau ergaben für die Mitte des 10. Jahrhunderts eine Burg deutscher Bauart. Sie wurde im großen Slawenaufstand von 983, dem sogenannten Lutizenaufstand, zerstört. Die Lutizen waren ein Bündnis zahlreicher slawischer Stämme, das gegen die deutsche Herrschaft gerichtet war. Die Heveller gehörten als südlichster Stamm zu diesem Bündnis.
     Die Lutizen drängten die Deutschen wieder über die Elbe zurück. Trotz erheblicher militärischer Anstrengungen gelang es in den nächsten 170 Jahren nicht, die deutsche Herrschaft zwischen Elbe und Oder zu erneuern. Doch nicht nur der deutsche Feudalstaat versuchte, dieses Gebiet zu unterwerfen. Ende des 10. Jahrhunderts gerieten die Sprewanen unter polnischen Einfluß. Erst nach 1032 zogen sich die Polen aus diesen Gebieten zurück, geschwächt durch innere Unruhen und den massiven militärischen Druck Kaiser Konrads II. Köpenick wurde wieder alleiniger Sitz der Sprewanenfürsten und blieb es bis in das letzte Drittel des 12. Jahrhunderts. Kleinere Burgen wie

Markgraf Gero
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Blankenburg wurden nicht wieder aufgebaut, was auf eine starke Zentralgewalt in Köpenick schließen läßt.
     Ab Mitte des 12. Jahrhunderts verstärkten sich erneut die Bestrebungen deutscher Feudalherren zur Eroberung slawischer Gebiete. Träger dieser zweiten Phase der deutschen Ostexpansion war nicht mehr das Königtum, es waren einzelne Territorialfürsten. Die bekanntesten sind Heinrich der Löwe (1129–1195), Herzog von Bayern und Sachsen, sowie Albrecht der Bär (um 1100–1170, Markgraf seit 1134). Albrecht stammte aus dem Geschlecht der Askanier und war seit 1134 Inhaber der Nordmark und somit unmittelbarer Nachbar des brandenburgisch- berlinischen Raumes. Es gelang ihm, sich vom kinderlosen christlichen Hevellerfürsten Pribislaw- Heinrich als Nachfolger einsetzen zu lassen. Als Pribislaw 1150 starb, besetzte Albrecht das Hevellerland. Spandau wurde erneut eine deutsche Grenzburg, wobei der alte slawische Burgwall südlich der heutigen Altstadt aufgegeben wurde und um 1200 die askanische Burg auf dem Gelände der heutigen Zitadelle entstand.
     1153 erlitten Albrechts Pläne einen herben Rückschlag. Der Sprewanenfürst Jaxa von Köpenick, ein Neffe Pribislaws, erhob Anspruch auf Brandenburg und eroberte es mit polnischer Hilfe. Jaxa ist durch zahlreiche Münzfunde bekannt, und es ranken sich auch viele Legenden um ihn. Das Denkmal auf dem Schildhorn an der Havel erinnert an
eine dieser Geschichten. An dieser Stelle soll er sich nach verlorener Schlacht schwimmend vor Albrecht dem Bären gerettet haben. Zum Dank für seine Rettung hängte er sein Schild an einen Baum, weihte es Christus und schwor seinem Gott ab. Zwar ist dies eine Sage, aber im Kern schildert sie die Vorgänge im Jahre 1157, als Albrecht der Bär Brandenburg endgültig zurückeroberte und sich ab diesem Zeitpunkt Markgraf von Brandenburg nannte.
     Das Sprewanenfürstentum existierte noch einige Jahrzehnte, geriet aber unter pommerschen Einfluß. Ende des 12. Jahrhunderts wurde es durch Truppen des Markgrafen von Meißen zerstört. Markgraf Konrad II. von Meißen forcierte den Ausbau der Köpenicker Burg und urkundete 1209 hier. Es war die Zeit, in der Pommern, Brandenburger, Meißner, der Erzbischof von Magdeburg und die schlesischen Herzöge versuchten, das heutige Berliner Gebiet ihren Fürstentümern anzuschließen. Mit diesen Eroberungsversuchen ging ein massiver Landesausbau einher. Dazu wurden neben den einheimischen Slawen in großem Umfang deutsche Einwanderer eingesetzt. Ein Dorf der ersten Einwanderungsphase um 1200 wurde in Zehlendorf am Krummen Fenn ausgegraben. Es handelt sich um ein kleines hufeisenförmiges Dorf. Es wurde rekonstruiert. Im heutigen Museumsdorf Düppel kann sich der Besucher ein Bild von den Lebensumständen mittelalterlicher Bauern
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Der slawische Burgwall Blankenburg, Rekonstruktion
machen. Allerdings setzte sich diese Dorfform nicht durch. In der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts entstanden überall die großen Anger- und Straßendörfer.
     Die entscheidenden Kämpfe um den Berliner Raum fanden von 1238 bis 1245 statt. Der Krieg der Magdeburger und Meißner gegen die Brandenburger tobte nicht nur auf dem Barnim und dem Teltow, sondern auch in der Altmark und im Havelland. Die Kämpfe endeten mit einem Sieg der brandenburgischen Markgrafen. Die Meißner verloren die Burgen Köpenick und Mittenwalde sowie sämtliche territorialen Ansprüche im Berliner Raum. Ebenso gaben Magdeburger und
Pommern hier ihre Eroberungsversuche auf.
     Nach ihrem Sieg forcierten die Markgrafenbrüder Johann I. (1220–1266) und Otto III. (1220–1267) den Landesausbau. Schon seit den zwanziger Jahren des 13. Jahrhunderts entstanden die Dörfer, die noch heute im Großstadtbild ihren Charakter bewahrt haben, wie Karow, Rosenthal, Pankow und Lübars. Träger dieser Gründungswelle waren neben Adligen vor allem Lehnsschulzen, die im Auftrag des Landesherren den Bau der Dörfer organisierten. Aber auch geistliche Orden wie die Zisterzienser oder die Templer beteiligten sich am Landesausbau. Die Templer besaßen mit Tempelhof, Marien-
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felde und Mariendorf eine Komturei, die wohl im Auftrag des Markgrafen in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts vorrangig militärische Aufgaben hatte. Die neuen Siedler kamen vor allem aus den benachbarten alten Siedlungsgebieten und den heutigen Niederlanden und Belgien. Die slawische Bevölkerung wurde allmählich assimiliert. Für die verschiedenen Feudalherren, die um den heutigen Berliner Raum kämpften, ging es neben der Erschließung neuer Gebiete auch um handelspolitische Interessen. Hier führte eine alte Ost-West- Straße von Magdeburg nach Posen durch. Hinzu kam bald eine Handelsstraße von Süden zur Ostsee. Diese Verbindungen erlangten durch die Intensivierung des Fernhandels im 12. Jahrhundert immer größere Bedeutung. So ist es kein Wunder, daß am Berliner Spreepaß, wo mehrere Talsandinseln einen sicheren Übergang gewährleisteten, eine Siedlung entstand.
     Bis vor wenigen Jahren wurde angenommen, daß Berlin-Cölln durch die erwähnten Markgrafenbrüder gegründet wurde. Diese Ansicht mußte nach Ausgrabungen an der kriegszerstörten Nikolaikirche und der Cöllner Petrikirche revidiert werden. Die spätgotische Nikolaikirche hatte eine frühgotische Backsteinkirche sowie eine spätromanische Feldsteinbasilika als Vorgängerbauten. Unter den ältesten Fundamenten entdeckten die Archäologen noch Reste eines Friedhofes, der vor dem Bau der Steinkirchen angelegt wurde.
     92 Bestattungen
wurden nachgewiesen. Ähnliche Ergebnisse brachten die Ausgrabungen an der Cöllner Petrikirche, wo 15 Bestattungen gefunden wurden. Friedhöfe dieser Größenordnungen setzen eine Siedlung mit Kirche, wahrscheinlich aus Holz, voraus. Da die spätromanische Basilika um 1230 direkt auf den Friedhof gebaut wurde, ging man davon aus, daß die Berliner Siedlung im letzten Drittel des 12. Jahrhunderts entstand. Daß diese Annahme richtig war, zeigte die Ausgrabung Breite Straße Ecke Mühlendamm in Berlin-Mitte. Die Archäologen legten Hausgrundrisse frei, bei denen Hölzer Verwendung fanden, die nach dendrochronologischen Untersuchungen um 1171 gefällt und verarbeitet wurden.
     Es ist anzunehmen, daß sich in dieser Zeit Kaufleute hier einen sicheren Ort für die Rast und zum Überwintern bauten. Unter welcher Herrschaft diese Siedlung entstand, ist fraglich, aber es waren die Brandenburger Markgrafen, die den Wert dieses Ortes erkannten, ihn förderten, ihm wahrscheinlich um 1240 das Stadtrecht verliehen und mit zahlreichen Privilegien ausstatteten. Schon nach wenigen Jahrzehnten überflügelte Berlin-Cölln die alten Siedlungsplätze wie Spandau, Köpenick, aber auch Brandenburg. Im 14. Jahrhundert wurde die Doppelstadt als unbestrittenes »Haupt der Mark« bezeichnet.

Bildquelle: Archiv Autor

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