Institut für Ur- und Frühgeschichte Universität Freiburg

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Schiffswracks im Bodensee

von Martin Mainberger, Adalbert Müller, Helmut Schlichtherle

Seit der mittleren Steinzeit dürfte der Bodensee mit Schiffen befahren worden sein. Auch wenn uns erst antike Schriftquellen konkrete Hinweise auf den Einsatz römischer Kriegs- und Handelsschiffe geben, so ist es doch sehr wahrscheinlich, daß bereits die Jäger und Sammler des Mesolithikums - deren Lagerplätze eine höhere Uferlinie des Bodensees in großer Zahl säumen - hier ab 9000 v.Chr. mit Einbäumen unterwegs waren. Auch für die Pfahlbausiedlungen der Jungsteinzeit muß ab 4000 v.Chr. der Einbaum ein wichtiges Fortbewegungsmittel gewesen sein. Im Gegensatz zu anderen Voralpenseen sind am Bodensee bisher allerdings noch keine Wasserfahrzeuge dieser Art entdeckt worden. Ein kleiner, 1986 geborgener, wie ein "Schiffsmodell" wirkender Miniatureinbaum aus der endneolithischen Ufersiedlung Sipplingen-Osthafen erhärtet die Vermutung, daß es große Vorbilder gab. Es dürfte somit nur eine Frage der Zeit und verbesserter Prospektion sein, bis - ähnlich wie am Zürichsee oder Neuenburger See - auch hier vorgeschichtliche Einbäume geortet werden. Aus dem Neuenburger See kennt man zudem römerzeitliche Schiffe.

Schon um die Jahrhundertwende wurden Archäologen auf Schiffsfunde im Bodensee aufmerksam. Eberhard Wagner vermerkt 1908 ein "ziemlich gut erhaltenes Schiff von Eichenholz mit doppelten Wänden..., mit Resten vom Steuerruder, gefunden bei der Insel Mainau". Dabei muß es sich aufgrund der Holzvernagelung um ein mittelalterliches bis neuzeitliches Schiff gehandelt haben. Eugen von Tröltsch erläutert 1902 die Überreste eines Schiffes bei Sipplingen "... dessen einzelne Teile mit Kupferdraht aneinander befestigt waren ...". Diese merkwürdige Konstruktion läßt aufhorchen. Es ist möglich, daß hier ein bronzezeitliches Plankenschiff angetroffen wurde, denn aus spätbronzezeitlichen Seeufersiedlungen gibt es Drahtklammern, die im Schiffsbau verwendet sein könnten. Die bronzezeitlichen Schiffe Nordeuropas weisen - wenn auch mit Seilen - zusammengenähte Planken auf. Der Fund von Sipplingen hatte sich bereits bei der Auffindung schnell zersetzt, weitere Informationen liegen leider nicht vor.

Erst mit dem Neubeginn der Pfahlbauforschung am deutschen Bodenseeufer und der Errichtung einer Arbeitsstelle vor Ort, kamen ab 1979 neue Fundmeldungen. Der ehrenamtliche Mitarbeiter Erich Lang stellte freigespülte Teile eines holzgedübelten Schiffes aus der Flachwasserzone des Untersees bei Gundholzen sicher. Laut Untersuchung im Dendrochronologischen Labor in Hemmenhofen datiert das Schiff ins Spätmittelalter, und zwar an das Ende des 14. Jahrhunderts. Polizeitaucher aus Überlingen meldeten Teile eines auseinandergebrochenen, großen Plankenschiffes, durch Sporttaucher kamen weitere Meldungen von Wracks im Überlinger See und im Obersee. Wir danken hier insbesondere D. Britz, Th. Frevel und J. Wulf für die Fundmeldungen. Die Entdeckung eines Schiffes im Erosionsbereich des Immenstaader Ufers führte 1991 zur Freilegung und Bergung durch das Landesdenkmalamt Baden- Württemberg. Es handelt sich um ein 18m langes Lastschiff des Spätmittelalters, das laut Untersuchungen im Dendrochronologischen Labor in Hemmenhofen in der ersten Hälfte des 14. Jh. gebaut worden war. Dies ist bis jetzt das einzige, archäologisch genauer untersuchte und gehobene Schiff am Bodensee. Die endgültige Auswertung des Fundes wird erfolgen, sobald die Konservierung und Aufstellung im Archäologischen Landesmuseum in Konstanz 1995 abgeschlossen ist.

Als zweitgrößter Voralpensee dürfte der Bodensee von Anfang an wesentlichen Anteil an der Entwicklung regionaler Schiffbautraditionen in der Zone nördlich der Alpen gehabt haben. So kann z.B. die Bauweise des Schiffes von Immenstaad auf gallo- römische Vorbilder zurückgeführt werden. Die von den Küstenschiffen deutlich abweichende Schiffsbautradition findet in der frühen Neuzeit ihre Fortsetzung in den bekannten Lastschifftypen: Lädine und Segner. Die letzten Lädinen wurden zu Beginn unseres Jahrhunderts aufgegeben, kein einziges dieser stattlichen, für den Handel bedeutsamen Gefährte hat "überlebt". Selbst Bau- und Konstruktion dieser neuzeitlichen Holzschiffe sind durch Archivalien nur ungenügend rekonstruierbar. Über ihre Vorgänger ist - bis auf die neuentdeckten Schiffe des Spätmittelalters - so gut wie nichts bekannt. Die Wracks sind letzte Zeugen der langen Schifffahrtsgeschichte im Bodensee und deshalb Kulturdenkmale von besonderer Bedeutung. Seit 1993 bemüht sich das Landesdenkmalamt Baden-Württemberg im Rahmen der "Pfahlbauarchäologie" um eine systematische Registrierung und Kartierung der Wrackfunde. Von ersten Erfolgen dieser Bemühungen soll im folgenden berichtet werden.

Von Beginn der Untersuchungen an war klar, daß eine Prospektion im Tiefwasser liegender Denkmale nicht auf den Einsatz von Tauchern beschränkt sein kann. Im Bodensee lassen Licht- und Sichtverhältnisse bereits nach wenigen Tiefenmetern stark nach. Bei 30 m macht es schon Mühe, die Geräteanzeigen zu lesen. In dieser Tiefe herrscht außerdem gegenüber der Wasseroberfläche ein bereits vierfach erhöhter Druck, was den Luftverbrauch entsprechend erhöht und den Tauchgang auf weniger als eine halbe Stunde begrenzt. An den Taucharbeiter stellen solche Verhältnisse hohe physische und psychische Ansprüche. Ein verhältnismässig großer personeller Aufwand ist daher aus Sicherheitsgründen notwendig. Eine erste Ortung und Einmessung der Wracks erfolgte deshalb von der Wasseroberfläche aus. Schon verhältnismässig einfache Echolote ("Fishfinder") geben Unebenheiten des Seegrundes recht gut wieder, wie unsere erste Tauchfahrt im März '93 mit J. Wulf, dem Entdecker des "Kohleschiffes", erwies. Faszinierend genaue Dokumente erbrachte dann die Ausfahrt mit Dr. H.G. Schröder und der "August Thienemann", dem Forschungsschiff des Institutes für Seenforschung in Langenargen, das mit einem "Side-Scan-Sonar" ausgerüstet ist. Dieses Unterwassersonar kann eine mehr als 100m breite Fläche vom fahrenden Schiff aus "abtasten" und zeichnet die von den Unebenheiten des Bodens reflektierten Schallimpulse graphisch auf. Die Einmessung der georteten und aufgezeichneten Objekte erfolgte dann durch GPS, einem Satellitennavigationssystem, das eine auf wenige Meter genaue Positionierung erlaubt.

Unsere bisherigen Erfahrungen zeigen, daß man auf eine genauere Beurteilung des einmal aufgefundenen und kartierten Denkmals durch Forschungstaucher dennoch nicht verzichten kann. Detailbeobachtungen, Probeentnahmen und Beurteilung des Erhaltungszustands werden oft nur durch eine genaue Inaugenscheinnahme durch die Experten im Tauchanzug vorgenommen werden können. Allerdings werden wir auch unter Wasser angesichts der skizzierten Schwierigkeiten neue Dokumentationsmethoden einsetzen und entwickeln müssen. Ein Anfang ist mit Hi8-Videoaufnahmen gemacht, die M. Kinsky aufzeichnete. Die Beobachtung mit lenkbaren Video-Kameras könnte weiterhelfen. Insgesamt wurden drei große, hölzerne Wracks angetaucht, dabei handelt es sich um ein mit Kohle beladenes Schiff ("Kohleschiff", W 206), ein Schiff mit Resten der Lehnladung, das sog. "Lehmschiff" (w 205) und um ein drittes Wrack im Überlinger See (W 207). Keines der Schiffe konnte bisher exakt datiert werden. Auf eine genauere Ortsangabe muß verzichtet werden, um die Funde vor unbefugter Nachforschung und Vandalismus zu schützen.

Abb. 1
Abb. 1: "Side-Scan-Sonar"-Aufnahme von Schiff W 206

Das "Schiff W 206" ist 15,30 m lang mit einer Mittschiffsbreite von 5 m und weist somit die Maße eines kleinen Bodenseelastenseglers bzw. "Segners" auf (Abb.1). Das Wrack befindet sich in einem hervorragenden Zustand und hat einen noch komplett erhaltenen Bootskörper. An einer Stelle ragen Bretter auf, bei denen es sich um Teile des an dieser Stelle zusammengebrochenen Decks handeln könnte. Das Fahrzeug liegt flach, etwas nach Backbord geneigt, besitzt aller Voraussicht nach einen flachen Boden und ist vorn und achtern aufgebogen und verjüngt. Die Planken sind in Kraweeltechnik aneinander gefügt, d.h. sie stoßen stumpf aufeinander. Im Heckteil sind der ca. 3 m lange Wellenblock ("Triller") zur Aufhängung des Steuerruders und das auf der Backbordseite angebrachte Steuerruder mit der geschwungenen Schiffstür mit Türarm noch sehr gut erhalten. Allem Anschein nach fehlen noch keine Kleinteile, so sind auch noch mehrere verrostete und aufgeblühte eiserne Beschläge vorhanden. Auch die Ladung aus Bruchkohle scheint vollständig zu sein, Teile davon liegen steuerbords neben dem Wrack. Es hat den Anschein, daß die Ladung innerhalb eines Holzaufbaues liegt, der offenbar eine zweite innere Wandung oder eine Art Hauptdeck bildet. Der Mast war nicht auffindbar, soll aber nach Angaben des Finders einige Meter abseits liegen. Leinen, Segel und andere Teile der Besegelung sind nicht mehr vorhanden. Neben der Steinkohle bildet der Deckaufbau einen Hinweis auf die Datierung des Schiffes, da solche Aufbauten im 19. Jhdt. hauptsächlich zum Transport von Steinen, Sand und Kies angebracht wurden.

Abb. 2
Abb. 2: "Side-Scan-Sonar"-Aufnahme von Schiff W 205

Bei dem Schiff W 205 handelt es sich um ein 13,7 m langes und 3,8 m breites Wrack (Abb.2), das bereits in den 80er Jahren vom Schiffahrtsmuseum Bremerhaven untersucht wurde. Auch hier handelt es sich den Maßen nach um einen "Segner". Das Fahrzeug, das etwas nach Backbord geneigt ist, hat einen flachen Boden, der vorn und bei der Wanne stark angehoben ist. Der Schiffsrumpf, wiederum in Kraweeltechnik erbaut, wird durch eng beieinanderliegende Spanten zusammengehalten, wobei an manchen Stellen dunkle Dichtmasse (Teer oder Werg) zwischen den Planken bereits fehlt. Außer dem hölzernen Rumpf ist leider nichts mehr erhalten. So fehlen, neben der namengebenden Ladung, die bei der Entdeckung noch vorhanden gewesen sein soll, auch das Ruder, der Mast, Metallbeschläge usw.. Dieser Zustand ist darauf zurückzuführen, daß das Wrack unter Sporttauchern gut bekannt ist, von Land aus gut betaucht werden kann und von Souvenirjägern geplündert wurde.

Das dritte Wrack W 207 (Abb. 3, 3a) hat von allen drei Schiffen mit Abstand den schlechtesten Erhaltungszustand. Unsere Informationen sind noch sehr gering, da es bislang nur einmal angetaucht werden konnte. Dennoch ist davon auszugehen, daß es sich hier ebenfalls um einen Lastensegler handelt. Außer dem stark beschädigten Schiffsrumpf scheint nicht mehr viel vor-handen zu sein, so fehlen z.B. das Ruder, der Mast und auch eine möglicherweise ursprünglich vorhandene Ladung. Der kraweelgebaute Schiffsrumpf ist an einem Ende auf der Back-bordseite teilweise um- und abgebrochen. In diesem Bereich sind die Holzteile stark beweglich und fragil. An einigen Stellen ragen die Spanten weit aus dem Schiffsrumpf heraus, da hier schon einige Planken fehlen. Dennoch ist mancherorts noch die Bordkante erhalten. Erhaltungszustand und die im Vergleich zu den beiden anderen Schiffen schlankere Form sind Ansatzpunkte für eine möglicherweise ältere Datierung.

Abb. 3
Abb. 3: Sonarbild des Schiffswracks W 207.
Im Umfeld liegende Einzelteile und hochherausragende Spanten zeugen von einsetzendem Zerfall.
Abb. 3a
Abb. 3 a: Detailfoto aus dem Inneren von Wrack W 207 mit einer Schiffsrippe (Spant).

Erst die systematische Erfassung der Schiffswracks im Bodensee wird die Grundlage einer denkmalpflegerischen Betreuung bilden. Bereits beim augenblicklichen Kenntnisstand zeigt sich die Gefährdung der Objekte. Mehrere Schiffe sind bereits aus dem Verband gelöst, ihre Teile treiben auseinander, rutschen die "Halde" hinab und lösen sich somit aus dem Zusammenhang. Sporttaucher verstossen gegen den Ehrencodex ihrer "Zunft" und gegen das Denkmalschutzgesetz, indem sie unerlaubte Nachforschungen anstellen, Schiffe durch Freilegung und Entfernen der Ladung der Erosion preisgeben und Schiffsteile abmontieren, um sie als Souvenirs nach Hause mitzunehmen.

Zerstörend wirken aber auch Erosionsvorgänge am Seegrund. Bis in große Tiefen ist zudem ein dichter Befall der Holzschiffe mit der Dreikantmuschel festzustellen, ursprünglich ein Meeresbewohner, der mit Sportbooten in den Bodensee verschleppt, sich nun auch hier stark ausgebreitet hat. Die Wirkungen des Muschelbefalls auf die Schiffswracks sind noch nicht erkundet. Der weitaus größte Teil der potentiell auf dem Seegrund liegenden "historischen Bodenseeflotte" dürfte noch unentdeckt sein. Auf die Mitarbeit der zahlreichen Sporttaucher durch Fundmeldungen ist die Schiffsarchäologie am Bodensee auch künftig angewiesen.

Literaturhinweise:

  • J. Leidenfrost, Die Lastsegelschiffe des Bodensees (Sigmaringen 1975).
  • J. Oexle, H. Schlichtherle, Bergung eines mittelalterlichen Lastschiffes aus dem Bodensee. Denkmalpflege Baden-Württemberg 2, 1992, 37-43.

 

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