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Forschungsprojekt Burgen bauen wie im Mittelalter

In Frankreich entsteht gerade eine Burg, die nicht nur aussehen soll wie aus dem Mittelalter - sondern auch völlig ohne modernes Gerät gebaut wird. Forscher testen an der Anlage, die schon zu einem Drittel fertig ist, ihre Theorien: Wie schlimm war die Plackerei damals wirklich?

Normalerweise dienen mittelalterliche Burgen - oder das, was von ihnen übrig ist - als Museen oder Ausflugsziele. Oder als Domizile für Reiche und Superreiche. Sie werden restauriert, gepflegt oder auch schon mal komplett ab- und in fernen Ländern wieder aufgebaut. Noch nie aber in der Neuzeit wurde eine mittelalterliche Anlage einfach nur mit dem errichtet, was im 13. Jahrhundert verfügbar war. Auf der Baustelle der Burg Guédelon im Burgund sind Hammer, Meißel, Seile, hölzerne Hilfsmittel und Pferde erlaubt - Kräne und Bohrmaschinen sind verboten.

Die Idee für das Projekt stammt von Michel Guyot, einem Archäologie-Narren mit Faible für alte Gemäuer. "Verrückte Ideen sind die einzigen Dinge, die man im Leben nicht bereut", sagt Guyot. Deshalb habe er seine Idee von der Burg Guédelon prompt in die Tat umgesetzt: "Solche Projekte muss man einfach in Angriff nehmen, mit voller Kraft voraus."

Von übermäßiger Eile ist auf der Baustelle in einem Eichenwald in Frankreichs Département Yonne allerdings nichts zu spüren. Im Gegenteil: Selbst nach Maßstäben des 13. Jahrhunderts, an dessen Architektur sich Guédelon orientiert, wächst die Burg im Zeitlupentempo. Erst 2023 soll sie nach bisheriger Planung fertig sein - also gut ein Vierteljahrhundert nach der Grundsteinlegung von 1997. Die Herrscher des Hoch- und Spätmittelalters ließen vergleichbare Anlagen mitunter binnen drei Jahren aus dem Boden stampfen.

Forscher beraten die Burgenbauer

Inzwischen ist Guédelon zu etwa einem Drittel fertig. Rund 50 Handwerker arbeiten an der Burg. Sie hat wie ihre Vorbilder aus der Zeit der Ritter und Kreuzzüge vier Türme, eine Außenmauer, einen Burggraben und eine Zugbrücke. Die Mauer ist bis zu 2,5 Meter stark, der Hauptturm 30 Meter hoch.

Ein solches Gebäude ohne moderne Hilfsmittel zu bauen, ist knifflig. Ein wissenschaftlicher Beirat, derzeit besetzt mit einer Archäologin, einem Architektur- und einem Kunsthistoriker, begleitet den Burgenbau. Die Baupläne stammen von Jacques Moulin, Frankreichs oberstem Architekten für die Pflege historischer Monumente.

Die Arbeiten an Guédelon können den Wissenschaftlern wertvolle Einsichten in die Techniken und die Arbeitsorganisation auf mittelalterlichen Baustellen bieten. Darüber ist bisher nur wenig bekannt. "Man erfährt zum Beispiel, dass man fast 600 Kilogramm schwere Balken ohne moderne Maschinen hochheben kann", sagt Maryline Martin, Direktorin der Bauarbeiten. "Alles, was dazu nötig ist, sind genügend Arbeiter - und gesunder Menschenverstand."

Spezialisten brauchte es auch schon im 13. Jahrhundert

Wie viele Arbeiter man aber genau braucht, um eine Burg in einer bestimmten Zeit zu bauen: Das ist für Thomas Bitterli die vielleicht wichtigste Erkenntnis, die das Projekt liefern kann. "Es gibt nur sehr wenige historische Quellen wie Bauverträge", sagt der Geschäftsführer des Schweizerischen Burgenvereins. Außerdem liefern zeitgenössische Dokumente nur vage Informationen darüber, ob zum Beispiel eine schon benutzte Burg auch komplett fertig war. "Bei Kirchen ist das ähnlich", sagt Bitterli im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. "Die Weiheurkunde bezieht sich nur auf den Altar - nicht auf die ganze Kirche. An der Kirche kann man noch hundert Jahre weiterbauen."

Das französische Burgenprojekt könne auch Informationen darüber liefern, wie die Werkzeuge des 13. Jahrhunderts eingesetzt wurden: "Es gibt von damals keine authenthische Anleitung, welche Werkzeuge man wie benutzt hat", sagt Bitterli. "Was wir wissen, stammt vor allem aus Bilddarstellungen, die Handwerker bei der Arbeit zeigen." Handwerkstechniken seien erst ab dem 16. und 17. Jahrhundert schriftlich festgehalten worden. "Deshalb weiß man heute kaum, wie in den Jahrhunderten davor genau gearbeitet wurde."

Eines aber ist dem Burgen-Forscher zufolge klar: Der Bau einer solchen Anlage war so anspruchsvoll, dass er nur von Spezialisten bewältigt werden konnte. "Man brauchte ausgebildete Leute, die die notwendigen Techniken beherrschten." Es gebe zwar immer wieder Berichte darüber, dass die Bauern der Umgebung zur Arbeit an einer Burg gezwungen worden seien. "Das bezieht sich aber wohl eher auf den Transport des Baumaterials oder ähnlich einfache Aufgaben", sagt Bitterli.

Gerüchte um den Einsatz moderner Maschinen

Auch der Kunsthistoriker Nicolas Reveyron, einer der drei Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats, betont den wissenschaftlichen Wert der Burg Guédelon. Statt die Reste alter Gemäuer zu interpretieren, habe er hier die einmalige Chance, seine Hypothesen zu prüfen. Zum Beispiel die Isolierung der unfertigen Mauern während der Wintermonate: Hier hätten die Arbeiten an Guédelon gezeigt, dass wohl tatsächlich Tiermist verwendet wurde und nicht Stroh, wie eine alternative Theorie besagte. Mist schütze den Mörtel besser vor Kälte und Frost.

Die Burg Guédelon ist nicht unumstritten. Mancher Experte bezeichnet die Baustelle eher als Themenpark - was unter anderem daran liegen dürfte, dass allein im vergangenen Jahr knapp 250.000 Touristen die Anlage besucht und rund zwei Millionen Euro Eintrittsgelder bezahlt haben. Außerdem gibt es Gerüchte, dass nachts, wenn die Touristen verschwunden seien, mit modernem Gerät weitergearbeitet werde. Guyot und Martin bezeichnen das als Neidkampagnen.

Bitterli hat Verständnis für das Vorgehen der Burgenbauer: "Wenn man nur experimentelle Archäologie betreibt, bleiben die Leute und damit die Einnahmen weg", sagt der Archäologe. "Man muss einen Bereich haben, in dem man den Besuchern erklärt, was man macht. Das kann natürlich die Arbeit verlangsamen."

Wenn die Burg im Jahr 2023 fertig ist, sollen die Bauarbeiten allerdings weitergehen. Denn erst soll neben der Anlage noch eine Abtei, anschließend ein Dorf entstehen - ebenfalls nach mittelalterlichen Vorbildern und ausschließlich mit zeitgenössischem Gerät. "Wir werden nie fertig werden. Denn hier geht es nicht darum, am Ende eine Burg zu haben", sagt Guyot. "Hier geht es darum, etwas zu bauen - Stein für Stein."