Der sengenden Hitze schenkt er keine Aufmerksamkeit. Er hat jetzt keine Zeit. Schließlich will er jeden einzelnen Journalisten persönlich durch die Ruinen führen, ihnen die Mauern aus der späten Bronzezeit zeigen und vor allem jenen Graben, von dem seine Mannschaft ein kurzes Stück freigelegt hat – und der ihm in diesen Tagen Schlagzeilen beschert. Ein Fernsehteam ist schon vor Ort, weitere haben sich angekündigt. Sie alle wollen nicht nur Aufnahmen mit Ton, Steinen und Scherben drauf. Nein, sie brauchen ihn im Bild. Ihn ganz persönlich, den neuen Hausherrn von Troja. BILD

Er heißt Ernst Pernicka. Seit diesem Sommer ist der Chemiker der neue Grabungsleiter auf der bekanntesten Wirkungsstätte deutscher Archäologen. Troja fiel schon 1871 in deutsche Forscherhände. Damals begann Heinrich Schliemann auf dem Hügel von Hisarlk, unweit der ägäischen Küste, mit den ersten Ausgrabungen. Und Pernicka ist der Nachfolger des im vergangenen August verstorbenen Tübingers Manfred Korfmann.

Korfmann hat gewaltige Spuren hinterlassen. Vor fünf Jahren hatte der klassische Archäologe mit seinen kühnen Behauptungen, die Stadt Troja sei einst eine Metropole monumentaler Größe gewesen, jenen Widerspruch geerntet, der schließlich den Troja-Streit auslöste.

Der gebürtige Wiener Pernicka fand sich daher im Juli dieses Jahres mit gemischten Gefühlen zum Arbeitsbeginn am Hügel Hisarlk nahe den Dardanellen ein. Schließlich ist er weder Deutscher noch Archäologe – und wurde doch zum Chef dieser prestigeträchtigen Ausgrabungsstätte ernannt. Damit der Naturwissenschaftler überhaupt den Posten dort einnehmen konnte, bedurfte es einer Gesetzesänderung in der Türkei. Die heiß begehrten Genehmigungen zum Graben sind bis vor wenigen Wochen ausschließlich klassischen Archäologen erteilt worden.

Pernicka geht den Hügel hoch, der ohne geologische Verwerfungen oder glaziales Wirken entstanden ist, eine Erhebung von Menschenhand. Jahrtausendelang wurde die Stadt immer wieder neu gebaut, Trümmer aus Lehm und gebrannten Ziegeln wurden zum Fundament der jeweils nächsten Gebäudegeneration. Troja wuchs zum Himmel. Auf halber Höhe hält Pernicka inne: »Hier ist TrojaVI.« Er zeigt auf einen vor ihm liegenden erstarrten Haufen aus verwitterten Ziegeln. Ein Brand hatte dieser Version vor rund 3300 Jahren den Garaus gemacht, und seit Schliemann und seine Nachfolger die rußschwarzen Trümmer freigelegt haben, nagt die Erosion an ihnen. Feuchtigkeit zersetzt die lehmigen Überbleibsel.

Über der Rußschicht war nach der Feuersbrunst Troja VIIa entstanden, jene Stadt vermutlich, die Homer in seiner Ilias zum Schauplatz göttlicher Kriege gemacht hat. Auch diese Epoche endete (vor rund 3180 Jahren) mit einem Brand. Dessen Ursache war womöglich ein verlorener Krieg – jenes Desaster, das Homer beim Dichten inspiriert haben könnte. All die Schichten von Troja I bis X sind allerdings so ineinander verzahnt, wie Städte halt wachsen und vergehen. Die Historie, die vor fünf Jahrtausenden begann, ist im Hügel Hisarlk kolossal durcheinander geworfen, und sie endet im Mittelalter, mit Troja als byzantinischem Bischofssitz.

Pulsierende Metropole oder kleine Burgsiedlung? Der Streit geht weiter