Martin Nagel: Eine Schachfigur aus Stade

 

Eine Schachfigur aus Stade



Abb. 1
Spielstein aus Stade Spiegelberg 10, Ausgrabung 1985/86,
Inv.-Nr.:
Std. 60/274 (Zeichnung: M. Nagel)

Im Jahre 1985/86 wurde im Auftrag der Stadt  Stade eine aufwendige archäologische Untersuchung des Stader Spiegelbergs  durchgeführt, um herauszufinden, ob an diesem Ort ehemals die Burg der  Udonen, die im Zusammenhang mit dem Wikingerüberfall auf Stade im Jahre  994 erwähnt wird, gelegen haben könnte.

Vom Keller des damaligen Gebäudes Spiegelberg  10 aus, bereits 1,20 m unter der heutigen Geländeoberfläche beginnend, wurde auf einer Grundfläche von 2,00 x 4,00 m ein zuletzt 10,50 m tief hinabreichender Schacht angelegt, mit dem die Schichtenfolge der Erhebung  vollständig untersucht werden konnte.

Wichtigstes Ergebnis war, daß der gesamte Hügel  von heute ca. 11,40 m Höhe und einer Fläche von ca. 10.000 qm während  des Mittelalters schrittweise künstlich aufgeschüttet worden ist. Die  ältesten baulichen Strukturen an der Hügelbasis stammen, wenngleich nicht direkt datierbar, mindestens aus dem 10./11. Jh. n.Chr.

In Fundkomplex/Schicht 24, einem zeitweiligen  Oberflächenhorizont ca. 5,5 m ü.NN., wurde im Lauf dieser Untersuchung  ein bislang nicht genauer zu identifizierender Spielstein aufgefunden.  Es handelt sich um einen sechsflächigen, fein polierten Kegelstumpf aus  Knochen oder Geweih (3,7 cm hoch, 2,4 cm max. Breite). Aufgrund seiner stratigraphischen Lage ist ein Einlagerungsalter älter als 1155 +/- 5 n. Chr. sicher (Der Terminus ante quem durch ergibt sich durch ein Dendrodatum des darüberliegenden Befundes mit einer von Eichenbohlen eingefaßten Rinne / Bestimmung durch das Ordinariat für Holzbiologie der Universität  Hamburg im Mai 1987).

Neuere Recherchen erlauben es nun, seine Funktion genauer zu bestimmen. Es handelt sich mit hoher Sicherheit um  die Bauernfigur eines hochmittelalterli- chen Schachspiels. Er ähnelt,  wenn- gleich von einfacherer Gestalt, den Bauern des "Lewis-Schachspiels" (vgl. Abbildung unten), die aus vergleichbarem Material, nämlich Walroßelfenbein,  gefertigt wurden.

Die Beschäftigung mit dem Schachspiel ist  aus dem Hohen Mittelalter ausschließlich in Adels-, später dann auch in höchsten Bürgerkreisen, belegt, so daß wahrscheinlich ist, daß auch diese Figur einer hochgestellten Person gehörte oder für diese bestimmt war.  Leider ist ein Umkehrschluß in der Form, daß Adlige im Mittelalter  auf Burgen lebten und deswegen der Spiegelberg eine Burg gewesen sein muß, nicht zulässig, außerdem wurde das Fundstück zusammen mit der Schicht, aus der es geborgen wurde, spätestens um 1155 n.  Chr. wahrscheinlich mindestens einmal umgelagert, d.h. Fundort und Ort  des Verlustes sind mit Sicherheit nicht identisch. So könnte der Spielstein, wenn er nicht hier verloren wurde, auch mit der vorhergehenden Aufschüttungsphase auf den Spiegelberg gelangt sein. Vorstellbar wäre es z.B., daß die Bauernfigur als Teil eines Figurensatzes Handelsware  eines Schiffes war und im nahen Hafen über Bord gegangen ist. Als der  Hafen im hohen Mittelalter offenbar nicht nur einmal vertieft oder erweitert  wurde, verwendete man den Aushub zur weiteren Aufhöhung des Spiegelbergs, so daß die Figur mit diesem Material hierhin gelangt sein könnte. Stade  war schließlich im Mittelalter eine bedeutende Handelsstadt und so wäre es nicht erstaunlich, wenn die Figur bereits einen längeren Weg bis  hierhin zurückgelegt hätte. Auch für die Figuren von Lewis ist es sehr wahrscheinlich, daß sie entweder eine Seereise hinter oder noch vor sich hatten.

Alles in allem, ein ungewöhnlicher Fund und ein archäologischer Beweis dafür, daß das Schachspiel in Stade  schon lange bekannt ist.


Abb. 2
Höhenschichtenplan des Stader Spiegelbergs mit Projektion des Grundrisses  der 1747 abgerissenen St. Pankratius-Kirche.
A Alter Hafen. - B Neuer Hafen. - C Untersuchung 1985/86 unter Haus Spiegelberg  10. - D Ehemalige Kirche St. Pankratius, nach Grundrißaufnahme 1747, projeziert  nach Untersuchungs-Ergebnisssen der Jahre 1978/79 (G. Mettjes, Schedenspeicher-Museum,  Stade)
(Zeichnung: M. Nagel)








Abb. 3 Untersuchung Stade, Spiegelberg 10, Südprofil. (Zeichnung M. Nagel)
Der Spielstein stammt aus Planum II, Schicht 24

Der für die Stadt Stade 1987 erstellte Ausgrabungsbericht, aus dem die hier erstmals veröffentlichten Zeichnungen stammen, wurde bedauerlicherweise vom Auftraggeber nicht publiziert, ein  Zwischenbericht (ohne Fundkatalog) findet sich als Aufsatz:
Martin Nagel: Der Schacht in den Stader Spiegelberg, in:
Stadtsparkasse Stade (Hrsg.), Auf den Spuren des alten Stade,
Redaktion: J. Bohmbach, T. Lüdecke, G. Mettjes, Stade 1986, S.81-86


Abb. 4
Lewis Chessmen.
(Quelle: The British Museum Website)

The British Museum

The Lewis Chessmen

Mitte des 12. Jh. n.Chr.

Die Schachfiguren wurden 1831 an der verlassenen Küste der Insel Lewis, eine der Äußeren Hebriden, entdeckt. Der Hort enthielt  vermutlich die Überreste von vier vollständigen Figurensätzen. 1831 wurden  67 der Figuren vom British Museum erworben, 1888 erwarb das National Museum of Scotland weitere 11 Stück. Sie stellen die außergewöhnlich- ste Gruppe von frühen Schachfiguren dar, die bis heute erhalten ist.

Quelle:
The British Museum Website


Abb. 5 Lewis  Chessmen. (Quelle: The British Museum Website)


Wissenschaft-
liche Buchgesell- schaft Darmstadt

Rekonstruktion des Lewis-Schachspiels

In der Ausgabe 1/99 der WBG Facetten, einer Broschüre  der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft Darmstadt, fand sich unter Art.-Nr.  S 00144-3 eine Rekonstruktion des Schachspiels, heutzutage dort erhältlich für DM 1.290,-.

Maße: 58 x 58 cm
Höhe der Figuren: 4,6 - 10 cm


Abb 6.: Rekonstruktion des Lewis Schachspiels.
(Quelle: Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt, Facetten 1/99,
Abbildung mit freundlicher Genehmigung der WBG)

Weitere Links zum Thema:
Stadt Stade (Stadtgeschichte)
Stadt Stade (Stadtplan)
Virtual Hebrides
Serce Limani - The Gaming Pieces

 

© 1999 / 2001 Martin Nagel M.A.

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