Die Kritik an den Geisteswissenschaften wächst. Im Exzellenzwettbewerb, der die besten Universitäten und Forschungsideen auszeichnen soll, sind die meisten geisteswissenschaftlichen Anträge bereits in der Vorauswahl gescheitert. Kulturwissenschaftler, Philosophen und Philologen klagen über Stellenstreichungen und das Wegbrechen ganzer Disziplinen. Mit Spannung wurden deshalb die Empfehlungen des Wissenschaftsrats zu den Geisteswissenschaften erwartet. Nun liegt die Expertise des höchsten Beratungsgremiums in Fragen der Forschung und Lehre vor – mit überraschendem Ergebnis.

DIE ZEIT: Die Krise der Geisteswissenschaften ist in aller Munde. Der Wissenschaftsrat jedoch sagt: Es geht ihnen so gut wie niemals zuvor. Ein Widerspruch?

Ulrich Herbert: Nein, denn es gibt keine Krise. Die Geisteswissenschaften sind stark in der Forschung und setzen international auf vielen Feldern Maßstäbe. Der wissenschaftliche Nachwuchs ist so gut ausgebildet, dass er an den besten Universitäten der Welt unterkommt. Und auch unsere Studenten haben langfristig gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Kurzum, diese larmoyante, kulturpessimistische Untergangsrhetorik geht an der Realität völlig vorbei.

Horst Bredekamp: Niemand kann die Augen vor der teils abstoßenden baulichen Substanz, der miserablen Ausstattung und der Überfüllung verschließen. Die Bedingungen, unter denen Dozenten zu lehren gezwungen werden und in denen die Studierenden einen Hauptteil ihres Lebens verbringen, haben teils zu einem spürbaren Verlust an Selbstachtung geführt.

ZEIT: Also doch Krise?

Bredekamp: Die Krise liegt eher in der Ausschließlichkeit ihrer Wahrnehmung. Viele Fächer wie die Altertumswissenschaften oder die Medienwissenschaft sind lebendig und populär wie kaum irgendwo. Vor kurzem wurde eine deutsche Dissertation von einem bekannten amerikanischen Medientheoretiker mit den Worten rezensiert: Anhand dieses Buches sieht man, dass die Diskussion in den USA um 30 Jahre hinterherhinkt.

ZEIT: Gilt die Erfolgsbilanz auch für die großen Fächer wie Germanistik oder Geschichte? Über die deutsche Philosophie etwa sagt der Philosoph Ernst Tugendhat, sie spiele international keine Rolle mehr.

Herbert: Für die Philosophie oder Germanistik kann ich das schwer beurteilen. Die Geschichtswissenschaft jedoch steht sehr gut da. Dass Deutschland sich in einem lang andauernden und schwierigen Prozess mit der NS-Zeit auseinander gesetzt hat, verdankt es nicht zuletzt den Historikern. Das ist keine kleine Leistung.