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Homo erectus Kleine Hirne auf großer Reise

Die ersten Vorfahren des Menschen, die Afrika verließen, waren vielleicht dümmer als bisher angenommen. Das legen fast zwei Millionen Jahre alte fossile Knochen nahe, die Forscher in Georgien entdeckt haben.

Die Forscher von der Georgischen Akademie der Wissenschaften in Tiflis staunten nicht schlecht über den Schädel und den Kieferknochen: Die neu entdeckten Fossilien gehörten offenbar zu einem besonders zierlichen Exemplar der Spezies Homo erectus. Seine Brauenwulst war schmal, seine Nase kurz, seine Hasenzähne riesengroß - und sein Gehirn winzig klein.

Der Urmensch hatte nur 600 Gramm an grauen Zellen in seinem Schädel, berichten die georgischen Wissenschaftler zusammen mit Kollegen aus den USA, der Schweiz und Spanien im Fachmagazin "Science". Damit besaß er gerade einmal halb so viel Hirnmasse wie ein durchschnittlicher moderner Mensch.

Fossile Überreste von zwei weiteren Exemplaren des Homo erectus, die vor zwei Jahren an der gleichen Stelle nahe der georgischen Stadt Dmanisi auftauchten, deuteten dagegen auf rund 800 Gramm schwere Gehirne hin. Alle drei Frühmenschen sind den Forschern zufolge rund 1,75 Millionen Jahre alt. Damit bilden sie die größte Sammlung von mehr als 800.000 Jahre alten Individuen, die an derselben Fundstelle ausgegraben wurden

Die neu entdeckten Knochen könnten eine sicher geglaubte Erkenntnis über den Haufen werfen. Der Exodus des Menschen aus Afrika, so die bisherige Theorie, sei in erster Linie auf das Anwachsen des Hirnvolumens zurückzuführen. Größere Intelligenz habe dem frühen Menschen die Anpassung an neue Umgebungen und damit die Wanderung nach Europa und Asien ermöglicht.

Der Umfang des Gehirns in dem jetzt entdeckten Schädel aber "lässt vermuten, dass das Anwachsen des Hirns nicht der einzige Grund war, Afrika zu verlassen", sagt David Lordkipanidze vom Georgischen Nationalmuseum, einer der Autoren der Studie. "Ich glaube, es hat nicht nur einen, sondern eine Kombination verschiedener Gründe für die Auswanderung gegeben."

Seine These wird gestützt von den Werkzeugen, die bei Dmanisi gefunden wurden. Sie entsprechen nach Meinung des Forschers den primitiven Oldowan-Werkzeugen aus beschlagenen Steinen, die erstmals vor 2,4 Millionen Jahren in Ostafrika auftauchten. Vor den Dmanisi-Funden waren Anthropologen davon ausgegangen, dass unsere Vorfahren erst vor rund einer Million Jahren Afrika verlassen und zu dieser Zeit bereits über große Gehirne und fortschrittliche Werkzeuge verfügt hätten.

Die Entdeckung von drei Frühmenschen an derselben Stelle hält Lordkipanidze für einen seltenen Glücksfall. "Mit drei Schädeln und drei Kieferknochen besitzen wir eine sehr umfangreiche Sammlung", sagt der Wissenschaftler. "Sie ermöglicht uns eine genaue Klassifizierung der Hominiden." In vielen anderen Fällen basiere diese Einstufung lediglich auf isolierten Funden.

Die Fossilien böten zudem einen seltenen Einblick in die Verschiedenheit einzelner Individuen derselben Art. Denn während beim modernen Menschen erhebliche Unterschiede in Körperbau und -größe eine Selbstverständlichkeit sind, weiß die Forschung nur wenig über derartige Variationen bei den Vorfahren des Homo sapiens. "Unsere Funde zeigen uns in erster Linie einen Unterschied in der Größe, nicht aber in der Morphologie", so Lordkipanidze. "Ich denke, dass es sich hier um Streuungen innerhalb einer Population handelt."

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