»Revolution Jungsteinzeit. Archäologische Landesausstellung Nordrhein-Westfalen«

Ein Ausstellungsbesuch

veröffentlicht am
AusstellungenNeolithikum

Um mit der Bilanz zu beginnen: eine Ausstellung, die man gesehen haben sollte und die man mit Gewinn auch gerne ein zweites Mal besucht. Die von Michael Schmauder und Simon Matzerath kuratierte Ausstellung verzichtet darauf, “die Geschichte neu zu schreiben”, aber sie erzählt sie ansprechend gestaltet und reicher, vielfältiger, komplexer als es ansonsten in vergleichbaren Ausstellungen üblich ist.

Auch wenn alle Landesteile NRWs zu der Ausstellung beigetragen haben, ist der rheinische Blick auf das Neolithikum unverkennbar. Im Fokus steht die Linienbandkeramik (LBK) in der rheinischen Lößbörde, das anschließende Mittelneolithikum ist weitgehend inexistent und erst im Jungneolithikum kommen neben dem Rheinland auch westfälische Themen und Exponate stärker zum Zuge. Doch obwohl die rheinische Bandkeramik einem Interessierten auch zuvor nicht unbekannt war, bietet die Ausstellung viel Neues. Das liegt auch daran, dass die Kuratoren nach Möglichkeit alle Themen und Geschichten anhand von Grabungen der letzten Jahre erzählen, die z. T. sogar noch ihrer wissenschaftlichen Publikation harren. Und immer wieder überraschen feine Gestaltungsideen, wie beispielsweise gleich im Eingang die geschickt - ungewöhnliche Art, die Dimensionen eines bandkeramischen Hauses zu verdeutlichen. Für die Ausstellungen wurden viele Lebensbilder neu geschaffen, in deren Details man sich auch als Fachwissenschaftler lange vertiefen kann, fassen sie doch zahlreiche Forschungsergebnisse dicht komprimiert zusammen. Doch neben Schautafeln, Lebensbildern, Modellen und Nachbildungen - viele davon ausdrücklich “zum Anfassen” - werden auch zahlreiche Funde gezeigt, so etwa vom LBK-Gräberfeld Arnoldsweiler, das nun mit besserer Knochenerhaltung neben das bislang einzige rheinische LBK-Gräberfeld von Niedermerz getreten ist. Hier erfreut den Besucher neben den Originalen ein Zeitraffer-Video auf der Basis von schon während der laufenden Grabungen zielgerichtet angefertigten Fotos, die in Summe den Verlauf der Freilegung eines Grabes zeigen. Besonders gelungen ist der technisch schwierige Raum, in dem die typische Keramik der LBK und ihre Verzierung gezeigt wird (Abb. 1): eine lange Folge von Originalen in Augenhöhe auf langsam rotierenden Tellern, wodurch das Bandmotiv der Gefäße nun wirklich rundum lesbar wird, dazu vergrößerte vollständige Abrollungen mit interpretierenden Nachzeichnungen an den Wänden (Abb. 2). Unscheinbar und zugleich besonders bedeutend in diesem Raum ist der aus Holz gefertigte bandkeramische Kumpf aus dem Erkelenzer Brunnen, das einzige bislang bekannte Stück dieser Art.

Ein weiterer - wenn auch naheliegender - Höhepunkt ist das Thema bandkeramische Brunnen. Die Dimension des Brunnens von Erkelenz wird durch ein Modell eindrucksvoll verdeutlicht, und eine angemessen mit Licht inszenierte Vitrine zeigt spektakuläre organische Funde aus der Brunnenfüllung (Abb. 3), darunter auch unpubliziertes Material, das hier erstmals in einer Ausstellung gezeigt wird. Der Besucher begreift, ganz nebenbei, auf welch‘ hohem Niveau sich das bandkeramische Holzhandwerk befand.

Mit dem rheinisch-westfälischen Thema Rohmaterialgewinnung und Bergbau erfolgt der Schritt ins Jung- und Endneolithikum. Ein Raum ist den letztlich spröden Schutthalden des Feuerstein-Tagebaus auf dem Aachener Lousberg gewidmet, wo neben Originalen, Illustrationen und Animationen ein eindrucksvolles (Kopter-) Video das heutige Landschaftsbild einfängt. Ein weiterer Raum gilt dem Galeriegrab von Erwitte-Schmerlecke (Kreis Soest), von dem neben Funden vor allem eine sehr gelungene 3D-Animation gezeigt wird. Angrenzend wird insbesondere an einer schönen Vitrine mit Jadeit-Beilen samt einer neuen Verbreitungskarte das Thema der heraufkommenden Bronzezeit und der Interaktion zwischen Steinzeitgesellschaft und frühem Metall erarbeitet.

Die Kuratoren haben auch schwierige fachpolitische Themen nicht ausgeklammert. So erläutert eine Wandtafel die Bedeutung des 2013 im Denkmalschutzgesetz von NRW endlich verankerten Schatzregals, und in einem gut gestalteten Bereich zum Thema Forschungsgeschichte und Köln-Lindenthal werden neben den Verdiensten auch die nationalsozialistischen Facetten in der Vita des Ausgräbers Werner Buttler dokumentiert. Da sieht man den Kuratoren den nur knapp an einer Rassenkunde vorbeischrammenden Lapsus beim Thema DNA-Analysen (“Schädelreste eines frühen Bauern” vs. “Schädelkalotte eines Jägers und Sammlers”) gerne nach. Viele Themen werden durch speziell für die Ausstellung produzierte Videos und Animationen erläutert, die man sich gerne auch außerhalb der Ausstellung z. B. auf einem Youtube-Kanal erneut ansehen würde.

Das Beschriebene ist ein möglicher Weg, diese Ausstellung wahrzunehmen: vor allem über die Originale und das reiche Bild-, Video- und Textmaterial in der Ausstellung selbst. Der Ausstellungskatalog und der Audioguide sind zwei andere Wege. Der leicht zu bedienende Audioguide ist gewiss nicht Jedermanns Sache (Abb. 4). In etwa 90 Minuten führt in klug vorformulierten Texten der bekannte und in Bonn lebende  Schauspieler und Comedian Bernhard Hoëker als Sprecher durch die Ausstellung, die Hörer sprachlich durchgehend eher als Kind oder Jugendliche adressierend, gewürzt mit RTL-Humor. Dem Autor erschien dieser Sprachduktus unangemessen und schwer erträglich, andere Besucher waren begeistert und wiederholt war in der Ausstellung  ein Lachen zu hören. Den Ausstellungsmachern ist die unterschiedliche Wirkung dieses Audioguides mit Promi-Faktor offenbar bewusst, am Ende der Ausstellung werden Besucher gebeten, einen kurzen Fragebogen speziell zum Thema Audioguide auszufüllen, nicht zur Ausstellung in toto.

Eine dritte Informationsebene bietet der Ausstellungskatalog (Otten 2015a), der mit mehr als 450 Seiten und ca. 2,5 kg wohl kaum dauerhaft durch das Museum tragbar ist, aber in der Ausstellung immer wieder auf den in fast jedem Raum zu findenden Sitzbänken bereitliegt und zum Blättern und Konsultieren einlädt. Der Katalog besticht durch viele gute Texte, von anerkannten Experten geschrieben, durch eine reiche Bebilderung mit guten Fotos und zahlreichen Karten. Er ist als wissenschaftlicher Katalog angelegt, ohne Fußnoten zwar, aber mit zahlreichen Literaturbelegen am Ende der Beiträge, und er bietet weit über die Ausstellung hinaus viel Information und Themen, die in der Ausstellung nicht oder nur sehr knapp vorkommen - eine aktuelle Synthese des Forschungsstandes zum Neolithikum in Nordrhein-Westfalen. Der Katalog geht dank der Qualität seiner Texte und seiner reichen Bebilderung und Belege wissenschaftlich weit über die letzte Synthese dieser Art hinaus (Kunow & Wegner 2006).

Der zweite, deutlich kleinere Bereich der Ausstellung in der obersten Etage des Museums enttäuscht im Vergleich  mit dem hohen Niveau der »Revolution Jungsteinzeit«, er versucht, punktuell einige Themen und Exponate jenseits des Neolithikums zu zeigen und wirkt dabei ebenso konzept- wie lieblos. Sowohl dieser Ausstellungsteil wie auch der zugehörige Katalogband (Otten 2015b) wissen nicht so recht, was sie erzählen und erreichen wollen. Der Versuch, dort die Methoden der Archäologie zu vermitteln, läuft eher auf ein Lehrbuch für Studienanfänger hinaus, was zwar weiterhin ein Desiderat, aber gewiss keine Aufgabe dieser Ausstellung ist. Weshalb die Paläontologie, der hier ein ganzer Raum und ein aufwändiges Lebensbild geschenkt wird, in einer archäologischen Ausstellung präsent ist, erschließt sich mir nicht, es ist sachlich wie fachpolitisch falsch.

Wie schon mit der Sonderausstellung “Eiszeitjäger” am gleichen Ort (DGUF-Newsletter vom 26.11.2014 Punkt 7.4.) zeigt das Bonner Team erneut überzeugend, wie facettenreich, verständlich und spannend es Geschichte entlang der Zeit als rotem Faden erzählen kann, in deutlichem Kontrast zum didaktisch konfusen Konzept der Bonner Dauerausstellung als “Themenmuseum”. Man kann den Machern nur zu der Entscheidung gratulieren, den Leitgedanken der zurückliegenden Landesausstellungen aufzugeben, in einer Leistungsschau möglichst umfassend “alle Highlights” der zurückliegenden Grabungssaisons zu präsentieren, und statt dessen nun konzentriert, kompetent und spannend die Geschichte einer wichtigen Epoche zu erzählen.

Termine

5.9.2015 - 3.4.2016 im Rheinischen Landesmuseum Bonn
2.7.2016 - 26.2.2017 im Lippischen Landesmuseum Detmold
3.6.2017 - 22.10.2017 im Westfäl. Landesmuseum Herne

Website zur Ausstellung

http://www.revolution-jungsteinzeit.de
Interessierte können dort auch einen in größeren Zeitabständen erscheinenden (Email-) Newsletter abonnieren.

Publikationen

Otten, Th. et al. (Hrsg.) (2015a). Revolution Jungsteinzeit. Archäologische Landesausstellung Nordrhein-Westfalen. Schriften zur Bodendenkmalpflege in Nordrhein-Westfalen 11,1. Darmstadt: Wiss. Buchgesellschaft. (452 S., in der Ausstellung 24,95 €).

Otten, Th. et al. (Hrsg.) (2015b). Archäologie in NRW 2012 - 2015. Archäologische Landesausstellung Nordrhein-Westfalen. Schriften zur Bodendenkmalpflege in Nordrhein-Westfalen 11,2. Darmstadt: Wiss. Buchgesellschaft. (272 S., in der Ausstellung 19,95 €).

Kunow, J. & Wegner, H.-H. (Hrsg.) (2006). Urgeschichte im Rheinland. Jahrbuch 2005 des Rheinischen Vereins für Denkmalpflege und Landschaftsschutz. Köln: Verlag des Rhein. Vereins f. Denkmalpflege u. Landschaftsschutz.