Zum Inhalt springen

Interview "Da wird man leicht zum Ziel für Luftangriffe"

Durch den Einsatz moderner geophysikalischer Methoden entwickelt sich die Archäologie zur Hightech-Wissenschaft. Helmut Becker, Leiter des Referats "Luftbildarchäologie und archäologische Prospektion" beim Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege (BLfD) sprach mit SPIEGEL ONLINE über archäologische Entdeckungen ganz ohne Grabungen, das Zerstörungswerk der Schatzräuber und die Gefahren des Archäologen-Alltags.

SPIEGEL ONLINE:

Mit Hilfe der Luftbildprospektion werden beim BLfD archäologische Denkmäler vor allem verzeichnet. Wann wird gegraben?

Helmut Becker: Es werden vor allem so genannte Not- oder Rettungsgrabungen vor Baumaßnahmen durchgeführt. Allein in Bayern sind es etwa 200 im Jahr. Meist erfordert es ein gewisses Verhandlungsgeschick, um überhaupt noch genügend Zeit für Ausgrabungen zu bekommen. Da ist man vom guten Willen des Bauherren abhängig. Sowohl von der Rechtslage her als auch im Praktischen ist dieser Bereich eigentlich völlig ungelöst.

SPIEGEL ONLINE: Ist das BLfD von der personellen Ausstattung her überhaupt in der Lage, Notgrabungen im ausreichenden Maße durchzuführen?

Becker: Nein, die Ausgrabungen führt das BLfD nicht selber durch. Das machen Grabungsfirmen. Uns bleiben dabei nur die Koordinierung und die Überwachung der Maßnahmen. Nur besondere Forschungsgrabungen werden von uns in Eigenregie durchgeführt.

SPIEGEL ONLINE: Mit dem Einzug geophysikalischer Prospektionsmethoden entwickelt sich die Archäologie zur High-Tech-Wissenschaft. Welches Instrumentarium steht dem Altertumswissenschaftler heute zur Verfügung?

Becker: Die geophysikalischen Methoden sind Instrumente, mit denen man in den Boden schauen kann, ohne das Denkmal zu zerstören. Man kann dabei viel großflächiger arbeiten als bei Grabungen.

Wichtigste Methode ist die Luftbildsprospektion. Anhand von Bewuchsmerkmalen, hauptsächlich in Getreidefeldern, kann man sehr deutlich Grundrisse von Gebäuden, Gräberfelder oder andere archäologische Strukturen erkennen. Die Ursache dafür ist ein Unterschied im Wassergehalt des Bodens an den Stellen, an denen sich Bebauungsreste unter der Erdoberfläche befinden. Seit man fliegen kann, werden Luftaufnahmen in der Archäologie verwendet. Sehr frühe Aufnahmen von Stonehenge wurden noch vom Ballon aus gemacht.

Geophysik wird in der Archäologie demgegenüber noch nicht so lange verwendet. In den 1940er Jahren wurde erstmals Elektrik zur Erdwiderstandsmessung eingesetzt. Da kann man vor allem Strukturen fassen, die einen erhöhten Widerstand haben. Vor allem für Steingebäude ist das ein ideales Verfahren, hat aber den Nachteil, dass es ziemlich langsam ist.

Die Magnetometrie gibt es seit den 1950er Jahren. Inzwischen sind Magnetometer die empfindlichsten geophysikalischen Geräte. Die Messungen gehen sehr schnell. Mit einem Wagen mit vier Sensoren kann man quasi die Oberfläche abscannen. Notfalls kann man die Sensoren auch tragen und das Untersuchungsareal zu Fuß abgehen. Die gespeicherten Daten werden später in ein digitales Bild umgerechnet, das einen sehr guten Blick unter die Erdoberfläche ermöglicht.

Eine weiteres Verfahren sind Radarmessungen. Der große Vorteil dieser Methode ist, dass sie dreidimensionale Bilder liefert. Sie funktioniert allerdings nur bei Steinbauten, bei Lehmziegelarchitektur wären wir mit Radar völlig blind. Radar kann also nur gezielt in Kombination mit anderen Verfahren eingesetzt werden.

SPIEGEL ONLINE: Mit welchen Methoden arbeiten sie beim BLfD?

Becker: Am Anfang steht immer die Luftbildprospektion, die in Bayern seit fast 20 Jahren betrieben wird. Wir haben inzwischen ein Archiv mit etwa einer Million Aufnahmen. Eine phantastische Basis für jede weitere Arbeit. Für den Einsatz von geophysikalischen Methoden ist neben der Empfindlichkeit des Verfahrens die Geschwindigkeit entscheidend.

Im Augenblick ist die Magnetik mit Abstand am schnellsten und liefert darüber hinaus auch die meisten Informationen. Die anderen Verfahren sind einfach zu langsam. Pro Jahr messen wir mit Magnetik etwa 200 Hektar, mit Elektrik rund fünf Hektar und mit Radar ungefähr 2 Hektar. Ideal wäre natürlich eine Kombination von mehreren Verfahren. Das ist in der Praxis aber kaum möglich, da der personelle und zeitliche Aufwand zu groß wäre.

SPIEGEL ONLINE: Die Entwicklung der Magnetik haben Sie maßgeblich vorangetrieben.

Becker: In der Magnetik sind wir tatsächlich führend. Da dieses Verfahren so wirkungsvoll ist, kommt es mittlerweile auf der ganzen Welt zum Einsatz. Beim Radar sind die Wiener Kollegen sehr weit, aber auch die Amerikaner oder Japaner holen auf.

SPIEGEL ONLINE: Prospektionsmethoden funktionieren nur auf landwirtschaftlichen Nutzflächen. Welche Möglichkeiten gibt es bei Waldflächen oder bebauten Gebieten?

Becker: Da ist es sehr schwierig. Im Wald kann man mit Geophysik sehr schlecht arbeiten. Aber die Aufgabe des Landesamtes ist ja die archäologische Denkmalpflege. Von daher sind die Waldgebiete eigentlich nicht unser Problem, da die Denkmäler dort gut geschützt sind. In bebauten Gebieten kann man höchstens mit Elektrik oder Radar arbeiten. Unser Arbeitsschwerpunkt liegt aber auf der freien Landschaft. Für diese Gebiete ist es unser Ziel, einen möglichst guten Inventar der archäologischen Denkmäler zu erstellen.

SPIEGEL ONLINE: Welche Prospektionsmethoden können in der Unterwasserarchäologie eingesetzt werden?

Becker: Luftbildprospektion geht im Flachwasserbereich. Ansonsten wird dort ganz anders gearbeitet, etwa mit Sonarverfahren, bei denen Schallwellen in den Boden geschickt werden. Es kommt aber auch Radar zum Einsatz oder Seismik, bei der mit kleinen Sprengungen Bebenwellen erzeugt werden.

SPIEGEL ONLINE: Raubgrabungen sind ein zunehmendes Problem. Rüsten auch Schatzräuber mit Prospektionsgerät auf?

Becker: Die Raubgräber arbeiten vor allem mit Metallsuchgeräten. Es wurde inzwischen verboten, solche Geräte an ausgewiesenen archäologischen Plätzen einzusetzen. Aber das schreckt die Täter natürlich nicht ab. Immer häufiger werden archäologische Fundstellen regelrecht ausgeplündert. Dagegen sind wir mehr oder weniger machtlos. Wir beim BLfD geben mittlerweile auch überhaupt keine Pläne mehr heraus. Unsere mit Prospektionsverfahren erstellten sehr genauen Karten, wurden sofort missbraucht, sobald sie publiziert waren.

Sobald Schatzräuber von einem Denkmal erfahren, gehen sie meist sehr raffiniert und effektiv vor. Teilweise vergraben sie zu einer Zeit, zu der die Felder gut begehbar sind, anhand eines Planes an der Stelle, an der ein Denkmal nachgewiesen ist, ein Stück Eisen. Kurz vor der Ernte, wenn beispielsweise Mais über 2,5 Meter hoch gewachsen ist, gehen sie dann mit einem Metalldetektor in das Feld und suchen das Eisenstück. Wenn sie es gefunden haben, können sie im Schutz der Pflanzen in aller Ruhe ihre Raubgrabung durchführen. Wir kennen da ganz üble Beispiele.

SPIEGEL ONLINE: An welchen archäologischen Projekten arbeiten Sie zur Zeit?

Becker: Als größeres Projekt laufen derzeit Untersuchungen am römischen Kastell Ruffenhofen in Mittelfranken. Ein Riesenareal von etwa 50 Hektar Fläche. 30 Hektar davon haben wir bis jetzt gemessen.

Daneben war ich dieses Jahr zehn Mal bei Auslandseinsätzen des Deutschen Archäologischen Instituts dabei. Die Krönung der Arbeiten war eine Reise im Februar nach Uruk im Irak. Leider konnten wir bei den Messungen vor Ort keinen Radar zum Einsatz bringen, da wir sonst leicht ein Ziel für amerikanische Luftangriffe geworden wären. Die Ergebnisse waren jedoch phantastisch.


SPIEGEL-Artikel zu diesjährigen Auslands-Expeditionen von Helmut Becker:

IM WÜSTENSAND DES JEMEN

Zauberin im Garten Eden

Erotisch, schön, unsagbar reich, mit Gold und Weihrauch im Gepäck - so taucht die Königin von Saba in der Bibel auf. Deutsche Archäologen haben jetzt die Palaststadt der Herrscherin aufgespürt. Im Wüstensand des Jemen liegt eine fast unbekannte antike Hochkultur verborgen. mehr...



SPURENSUCHE IM IRAK

Venedig im Sand

Deutsche Archäologen auf heikler Mission: Im Irak legen sie die älteste Großstadt der Welt frei – und gerieten prompt in einen Raketenangriff. mehr... 

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.